Ein Sternchen für die Gerechtigkeit
Unsere Welt ist kompliziert. Und wie in so vielen Bereichen ist auch das Thema Geschlechtergleichstellung komplex, vielschichtig und beinhaltet zahlreiche unterschiedliche Aspekte. Sich für eine geschlechtersensible Sprache einzusetzen ist ein Teil davon und kann zur tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter beitragen. Noch immer viel zu oft stösst man dabei aber auf Widerstand – zu umständlich, unschön für die Ästhetik, Frauen sind doch stets mitgemeint, wird argumentiert. Als ich mich in einer Diskussion für die Verwendung eines Gendersternchens einsetzte, wurde ich als radikale Feministin bezeichnet oder als Ideologin, die anderen etwas aufdrängen möchte. Abseits von ideologischen Grabenkämpfen und Diskussionen rund um Effizienz und Ästhetik im Sprachgebrauch sollten wir uns doch vielmehr bewusst werden, wozu wir denn eine gendergerechte Sprache benötigen und was wir damit bewirken können.
«Wenn nur die männliche Form verwendet wird, sind Frauen natürlich mitgemeint»
heisst es oft von Kritiker*innen. Ob mitgemeint oder nicht ist letztlich sekundär. Entscheidend ist vielmehr, ob die mitgemeinte Person sich auch angesprochen und wahrgenommen fühlt. Wir benutzen Sprache, um miteinander zu kommunizieren und uns gegenseitig zu verstehen. Die schönsten Sätze nützen wenig, wenn sie bei dem*der Empfänger*in nicht ankommen. Sie verpuffen in der Luft. Wenn also von Bürgern, Studenten oder Patienten gesprochen und geschrieben wird, müssen wir uns fragen, ob sich denn die Bürgerinnen, Studentinnen oder Patientinnen unter uns auch angesprochen fühlen.
Zusätzlich generiert die Sprache bei den Leser*innen immer auch Bilder; eine gewisse Vorstellung der Welt wird konstruiert. Je nach Sprachgebrauch kann dieses Bild unterschiedlich ausfallen. Benutze ich also nicht nur das generische Maskulinum, so lasse ich Frauen und andere Geschlechter sprachlich sichtbar werden und rücke sie ins Bewusstsein der Leser*innen. Ich setze ein Zeichen dafür, dass mir Gleichberechtigung, gesellschaftliche Vielfalt und letztlich der Schutz der Menschenwürde1 am Herzen liegt. Dieses Sternchen zwischen zwei Wortteilen kann also viel mehr als nur zu einer präziseren Sprache beitragen, in der sich mehr als nur Männer angesprochen fühlen – es ist ein kleiner Denkanstoss für etwas mehr Gerechtigkeit in unserer Sprache und damit in unserer Welt.
Wie wir mit Sprache Realität konstruieren und welche Wirkungen wir damit erzeugen können, faszinierte mich schon immer. Im Studium und in meinem Nebenberuf sitze ich täglich vor Texten oder verfasse selbst Berichte. Als ich mich beruflich aktiv dafür einsetzte, eine geschlechtersensible Sprache umfassend anzuwenden, stiess ich teils auf heftigen Widerstand. Die mir damals fehlende Schlagfertigkeit und überzeugenden Argumente möchte ich nun weitergeben.
1Art. 2 der allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) beinhaltet das Verbot der Diskriminierung und untersagt jede Unterscheidung aufgrund der «Rasse, Hautfarbe,Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand». Quelle
29. November 2021
Ausgabe 1, S 41