Sexismus und Misogynie unter schwulen Männern

Ankunft in eine neue Welt
Als ich mit zwanzig mein Coming Out hatte, freute ich mich darauf eine neue Welt zu entdecken. Durch meinen Freiheitsschlag sollte mir verborgenes nun offenbart werden. Es war natürlich nicht alles verborgen, denn über die Jahre hinweg hatte ich einige Berührungen mit dem “Schwul-Sein” gemacht. Erst nach einer gesunden Portion Selbstfindung wurde mir aber bewusst, dass ich versteckt nicht weiter leben möchte. Also verkündete ich der Welt, dass ich Männer liebe. Im selben Jahr besuchte ich zum ersten Mal die Pride in meiner Stadt. Einen schöneren Event um mich und meinen neuen Lebensabschnitt zu zelebrieren, hätte es wohl nicht geben können.
Noch nie in meinem Leben, hatte ich das Gefühl gehabt, so frei zu sein wie an dieser ersten Pride. Ich merkte wieviele queere Menschen es in Zürich gibt. Ich fühlte mich plötzlich ganz klein, ging als gewöhnlicher schwuler Mann in dieser Masse fast schon unter. Schöner hätte es für mich nicht sein können. Nicht beachtet zu werden, während meine Wangen mit Glitzerpartikeln geschminkt waren, ich ein super schwules Netz-Shirt trug und einen anderen Mann im Arm hielt. Es war das normalste der Welt – das war neu. Das Wochenende war geprägt von Akzeptanz und Toleranz. Ich realisierte, dass ich in einer farbenfrohen und offenen Community mein Zuhause gefunden hatte. Dieses Glücksgefühl und die Begeisterung über die LGBTQ+ Community hielten eine zeitlang an. Doch nun, etwa 4 Jahre später, sehe ich die farbige Welt doch ein bisschen grauer und ich frage mich manchmal, ob der Wunsch nach Akzeptanz und Toleranz nicht nur ein Deckmantel ist?
Männlichkeit und Weiblichkeit
Für viele queere Menschen stellen Labels dass dar, was sie eigentlich gerne missen würden. Man will sich heute nicht mehr outen müssen sondern die Geschlechtsidentität gerne als fliessend oder undefinierbar bezeichnen. Man möchte sich nicht mehr einschränken und schubladisieren lassen. Ich dachte diese Mentalität sei der gemeinsame Konsens der Community, aber scheinbar trifft diese Annahme nicht auf alle zu. Das lernte ich, als ich mich durch das vielseitige Vokabular der LGBTQ+ Community durcharbeitete. Plötzlich musste ich mich mit irgendwelchen Titeln, Bezeichnungen und Kategorien auseinandersetzen. Ich wurde bombardiert mit Fragen. Bist du „Top“ oder„Bottom“? Bist du ein „Twink“, „Otter“, „Bear“ oder sogar ein „Jock“? „Masc4Masc“? Die Überforderung stand mir vermutlich ins Gesicht geschrieben und meine Finger tippten fleissig alles bei Google ein. Und weil Labels nunmal Klarheit schaffen, war das auch in Ordnung. Allerdings hatte der letztere dieser Begriffe einen saureren Beigeschmack als die anderen. Um kurz zu entschlüsseln: Männer fragen auf Dating-Apps „Masc4masc“ um herauszufinden, ob das Gegenüber auch „maskulin“ ist. Oder besser gesagt maskulin genug ist. Wir sprechen von Muskeln, einer Affinität zu Sport und am bestenallgemein einem möglichst heterosexuellen Eindruck. Keine Tunte. Keine lackierten Nägel. Kein schlaffes Handgelenk und bitte kein MakeUp.
︎︎︎Die Begriffe in Anführungszeichen beschreiben Kategorien und Präferenzen, die sich auf das Dating- Leben beziehen. Die Begriffe „Top“ und „Bottom“ beschreiben die Position im homosexuellen Sexualakt selbst, auch bekannt als „Der einfügende Sexualpartner“ und „Der empfängliche Sexualpartner“. Unter anderem auch „aktiv“ und „passiv“. Labels wie „Bear“ (Männer die fest behaart und kräftig sind )oder „Twinks“ (meist junge Männer in den 20er, mit wenig Körperbehaarung und schlankem Körperbau) beschreiben wiederum äusserliche Eigenschaften und Präferenzen.
Aber eigentlich ist das auch gar nicht so verkehrt. Wenn man schwul ist, steht man ja schliesslich auf Männer und einige mögen ihre Männer halt möglichst maskulin. Aber leider bleibt es nicht nur bei einer einfachen Chat-Frage nebenbei. Die Bedingung als schwuler Mann möglichst männlich zu sein, ist ein Standard. In den Schwulen Clubs kann es durchaus vorkommen, als femme-gay (ein schwuler Mann mit weiblichen Eigenschaften) schräg angemacht zu werden. Oftmals wird man gar nicht erst in die Clubs reingelassen. Nicht selten sogar verbal attackiert. Von anderen Schwulen. Dieser Hass von hypermaskulinen schwulen Männern auf femininere Männer ist erklärbar: Sie finden, dass die sogenannten „femme-gays“ das soziale und gesellschaftliche Bild des schwulen Mannes negativ beeinflussen. Es ist Fakt, dass die auffällig weiblichen Männer als „schwul“ wahrgenommen werden. Männliche „normale“ Männer werden nicht automatisch durch ihr Äusseres geoutet, also werfen sie so auch kein Licht auf eine gesamte Community.
Schlechtes Licht auf die Community, werfen die femininen Männer aber auch nicht. Sie machen ja nichts negatives, oder? Alleine ihr weibliches Verhalten als Mann wird von der Gesellschaft aber als negativ empfunden. Was an sich schon das Problem in der Auffassung von Weiblichkeit aufzeigt. Trotzdem würde man vielleicht nicht erwarten, dass diese Tatsache eine Kluft in eine Community reissen kann, die für Toleranz und Akzeptanz steht. Das kann sie aber und die Kluft ist leider ziemlich tief.
Ein gibt ein weiters Muster, das auf eine gewisse Misogynie4 seitens schwuler Männer schliessen lässt. Lesben sind bei den meisten schwulen ziemlich verpönt. In queeren Clubs gibt es meist nur wenige lesbische Frauen – was vielleicht an den abwertenden Blicken liegt, die ihnen oft zugeworfen werden. Auch gibt für lesbische Frauen sehrwenige Orte, die ihnen ermöglichen untereinander in einem Safe-Space zu sein. Während es an explizit nur schwulen Bars, schwulen Clubs und schwulen Saunas wimmelt. In einem Vorfall wurde meine lesbische Freundin in einer queeren Bar nicht einmal bedient. Bei einem anderen Vorfall sogar von einem schwulen Mann im Club angegriffen und schlussendlich vom Türsteher rausgeschmissen. Weil sie eine Frau ist. Es kristallisiert sich also klar heraus, dass ein Teil der Männer in der Community ein gröberes Problem mit Frauen oder der dazugehörigen Weiblichkeit haben. Dies könnte von innerlich verankerten „Triggern“ hervorgerufen werden. Jeder Mann hat irgendwo eine weibliche Seite, die er entdecken könnte. Da das Anerkennen dieser Seite aber von Anfang an – in der Erziehung beispielweise aber auch in der Gesellschaft als Taboo gekennzeichnet wird, prägt sich diese Ansicht nunmal genauso ein: Weibliches Verhalten ob charakterlich oder als äusserliche Erscheinung sind falsch.
Für mich und viele andere homosexuelle war die Akzeptanz unserer femininen Eigenschaften eines der grösstes Schlüsselerlebnisse. Ich kann und darf mich schminken, wenn ich mich danach fühle. Meine
Stimme kann und darf auch etwas höher sein, denn was soll es schon anrichten, wenn man schon ab meiner Betonung merkt, dass ich schwul bin. Wir werden als Kinder dazu erzogen, in Rollenbildern zu denken. Nicht davon abzuweichen und die Grenzen nicht zu überschreiten. Sich in diesem System die Freiheit zu nehmen und so zu leben wie man möchte, ist eine kleine Revolution. Weiblichkeit zuzulassen hilft der eigenen Männlichkeit enorm. Ich bin nicht weniger Mann, durch meine weiblichen Züge. Ich bin eigentlich sogar mehr Mann, weil ich den Mut dazu habe, weiblich zu sein ohne mich in meiner Männlichkeit verletzt oder gar angegriffen zu fühlen. Ich lasse es zu, während andere es krampfhaft unterbinden. Das zeugt doch von Stärke nicht? Möglicherweise würde eine solche Erkenntnis auch den schwulen Misogynisten gut tun. Ihr seit nicht mehr männlich als andere, nur weil ihr Weiblichkeit nicht zu lässt. Ihr seid sogar etwas weniger Mann, wenn Ihr so zum Thema Frau-sein steht.

Dieser Text widergibt lediglich die Meinung des Autors und nicht jene der Models dieses Beitrags.
29. November 2021
Ausgabe 1, S 64