Küchenszene
Ich komme nach Hause. Seit ich ausgezogen bin, tue ich das nicht mehr so oft. Aber jetzt stehen wir drei in der Küche und nach einigem Ringen erkläre ich euch, dass ich einen Aufruf zum Buch gestartet habe.
Was für ein Buch fragt ihr. Ein Buch über Sexismus. Ihr schweigt und schaut mich erwartungsvoll an. Wieso, fragt ihr. Weil ich wütend bin, sage ich nüchtern. Du lehnst im Türrahmen und verschränkst deine starken Arme vor der Brust, die Falten auf deiner Stirn ziehen sich in der Mitte zusammen. Ich erzähle vom Dienstagabend und schweige. Du schaust zu meiner Mutter, auch sie schweigt. Ich zähle auf, Männer, die mich angefasst haben, die mich beschimpft haben, die mein Nein nicht akzeptiert haben. Ihr beide wisst, wovon ich spreche und ihr beide wisst, dass diese Dinge nicht erst zu meinem Alltag wurden, als ich auszog. Du zuckst mit den Schultern, siehst zu Boden und entfernst dich aus dem Türrahmen, aus meiner Erzählung. Ich verstehe es. Es gibt nichts anzufügen.
Ich schweige. Du auch. Dein Blick ist schon länger aus dem Fenster geschweift. Du drückst deine Lippen zusammen, so wie du das immer tust, wenn du deine Tränen zurückhältst. Ich sehe dir weiter zu, wie du kämpfst und schliesslich zu weinen anfängst. Mit einem Mal bist du wieder fünfzehn Jahre alt und du sprichst von einem Mann, der dich gegen die Wand gedrückt und deine Grenzen überschritten hat. Du sprichst von dieser erdrückenden Scham, die du verspürt hast. Die Scham, die in all dieser Zeit keinen Tag älter geworden ist. Ich sehe den Schmerz in deinem Gesicht, während du dein fünfzehnjähriges Ich an die Hand nimmst und ihr zusammen bedauert. Ein Riss tut sich auf in meiner Brust und alles fällt heraus. Es tut mir leid. Es tut dir leid. Ich nehme dich in den Arm und höre weit weg, wie du danke sagst. Ich bin so froh, dass du ein Buch machst, sagst du.
29.November 2021
Ausgabe 1, S 179