Sexismus

Das Wort an sich hat schon eine provozierende Note. Und genau so fühlt sich das Thema für mich an. Meist wird irgendwer bei einem vermeintlich sachlichen Diskurs über Sexismus angegriffen. Wird die Thematik für eine oder einen heruntergespielt, wird sie für andere im gleichen Atemzug als überspitzt vermittelt.
Einen sachlichen Diskurs zu führen, braucht schier unendliches Fingerspitzengefühl, eine gute Balance und für das Verständnis oftmals ein hörendes Ohr. Ich möchte mich nicht belehrend äussern oder in wenigen Zeilen dieses komplexe Thema mit ihrer weitreichenden Historie in einer verallgemeinerten Lösung wie ein «Betty-Bossi-Rezept gegen Sexismus» zusammenfassen.
Aber eine kurze Anekdote hat meines Erachtens noch Platz auf dieser Seite: Ich war im ersten Jahr der Kantonsschule. Da mir die Schule nie gross Mühe bereitete, war es naheliegend, als Nebenverdienst Nachhilfe anzubieten. So kam es also, dass mich die Eltern eines potenziellen Nachhilfeschülers zu sich zuhause an ein Vorstellungsgespräch einluden. Was an sich schon ungewöhnlich war, normalerweise lief das «Anstellungsprozedere» um einiges salopper. Pünktlich betrat ich das stattliche Vorortshaus. Die Stühle waren schon säuberlich platziert, das obligatorische Wasserglas gefüllt und 20 Minuten unangenehmer Smalltalk vorprogrammiert. Es schien gut zu laufen, sie stellten mich an.
Gerade als ich den Stuhl wieder an den rechten Ort schieben wollte, räusperte sich der Vater nochmals. Die Mutter war schon irgendwo in der Küche verschwunden. Eindringlich schaute er mich an, fast schon entschuldigend. Er räusperte sich kurz: «Also ähm – ja – also – ich wollte mich nur nochmals vergewissern. Du würdest ja auch Mathematik unterrichten – mhm - also es ist ja im Allgemeinen schon bekannt, dass - ...» Irritiert schaute ich ihn an, ich verstand nicht ganz, worauf er hinaus-wollte. Er hörte ja auch mitten im Satz auf zu sprechen. Er schaute immer noch eindringlich, als wäre es absolut klar, was er sagen wollte.
Und da fiel der Groschen bei mir. «Du meinst, weil ich eine Frau bin?» Er war schon fast erleichtert, dass ich endlich verstanden hatte, was offensichtlich das Problem war. «Ja genau. Es ist halt schon bekannt, dass Frauen Mühe haben mit der Mathematik. Traust du dir denn das zu? Mein Sohn ist immerhin in der sechsten Klasse.»
«Seit ich in die Schule gehe, hatte ich im Schnitt in Mathe jedes Jahr eine 6. Kannst du das auch von dir behaupten?». Ein fordernder Blick meinerseits. Stille seinerseits. Natürlich könne er das von seiner Schulkarriere nicht behaupten. Er entschuldigte sich für die Frage, lächelte leicht beschämt.
Dass das mit dem durchgehenden 6er Schnitt vielleicht doch eher nach oben korrigiert war, muss er ja nicht wissen.


30. November 2021
Ausgabe 1, S 133