Arbeit ungleich verteilt

Die Begriffe Care-Arbeit, Hausarbeit und unbezahlt geleistete Arbeit haben mich im letzten Jahr immer wieder beschäftigt. In Diskussionen, auf Social Media oder auch in Fachliteratur sind dies Begriffe, die immer häufiger anzutreffen sind und momentan (zu Recht!) stark an Relevanz gewinnen.Nur durch einen aktiven Diskurs über solche, leider viel zu wenig besprochene Themen, ist ein gesellschaftlicher Wandel erst möglich.
Mit Bedauern musste ich jedoch feststellen, dass gegenüber diesen Begriffen immer noch ein grosses Unverständnis herrscht, und zwar nicht nur bei Männern. Auch wenn ich mit Frauen oder Müttern über diese Thematik gesprochen habe, war ihnen nicht immer klar, was sie in ihremZuhause leisten und welche Auswirkungen ihre Arbeit zuhause auf die Erwerbsarbeit hat. Dass eine komplette Gleichstellung der Geschlechter, insbesondere in der Erwerbsarbeit (Lohngleichheit etc.) erst erfolgen kann, wenn auch die unbezahlt geleistete Arbeit gleichgestellt ist, ist ein wichtiger Punkt, den wir im Kampf zur Gleichberechtigung nicht aus den Augen verlieren dürfen.
Durch ein Projekt in meinem Studium konnte ich mich intensiv mit dieser Thematik auseinandersetzen. Ich studiere Data Design and Art an der Hochschule Luzern Design und Kunst und für unser letztjähriges Semesterthema haben wir uns mit den Sustainable Development Goals der United Nations auseinandergesetzt. Die UN hat im Zuge der Agenda 2030 (Globale Nachhaltigkeitsagenda) im Jahr 2016 insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele definiert, die der nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen sollen. Das fünfte Ziel der SDG‘s, mitwelchem ich mich im Zusammenhang mit meiner Semesterarbeit auseinandergesetzt habe, dreht sich um die Gleichstellung der Geschlechter, insbesondere der Befähigung von Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung. Alle SDG‘s sind mit weiteren Teilzielen und Indikatoren ausgestatten, zu welchen auf ihrer Webseite offene Datensätze freigeschaltet sind.
Die UN definieren diese Ziele zwar und geben allen Ländern einen Leitfaden vor, wie sie ihre Daten bestmöglich zu den einzelnen Zielen erheben können. Wie diese Länder ihre Daten aber erheben, ist ihnen selbst überlassen. So kann es sein, dass nicht alle Länder die gleichen Kategorien zur Datenerhebung wählen. Bei meinem ausgewählten Datensatz zur Gleichberechtigung wurden zum Beispiel sehr unterschiedliche Alterskategorien erhoben (15-25 Jahre vs. U20). Auch wurde nicht klar definiert, was in welchen Ländern wie zur unbezahlt geleisteten Arbeit gezählt wird. Aufgrund dieser Inkonsistenz müssen die von den einzelnen Ländern erhobenen Daten kritisch und mit Vorsicht betrachtet werden.
Da sehr viele Länder sich aber dazu entschlossen haben, bei den SDG‘s mitzumachen, sind diese Datensätze sehr gross und sehr umfangreich. Sie zubehandeln, wird dadurch nicht leichter. Um einen direkten Vergleich oder eine zeitliche Verbesserung feststellen zu können, fehlen oftmals durch diese sehr unterschiedlichen Erfassungsweisen der Länder gewisse Variablen. Ich habe mich deshalb für meine Darstellung auf ausgewählte Länder in Europa beschränkt, bei denen der Datensatz genügend Übereinstimmungen hat, um überhaupt einen Vergleich ziehen zu können.
Durch diese vage Definition und die unterschiedlichen Erfassungsweisen kann es deshalb auch sein, dass die absoluten Zahlen noch viel höher oder auch viel tiefer ausfallen, als aktuell dargestellt. Dabei ist zu betonen, dass jegliche Visualisierungen der eruierten Daten eine sehr starke Vereinfachung all dieser komplexen Lebenssituationen darstellen und der Thematik an sich nie gerecht werden können. Ebenso ist auch zu beachten, dass dieser Datensatz nur einer von vielen ist in diesem Bereich und dabei auch nur auf die beiden in vielen Ländern registrierbaren Geschlechter weiblich und männlich eingegangen wird. Er ist mit hoher Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht repräsenativ für die Komplexität, die hinter dieser Thematik steckt.
Nichtsdestotrotz finde ich, dass gutersichtlich ist, wie stark das Ungleichgewicht der Aufteilung der Arbeiten unter den Geschlechtern immer noch ist und welch grosse (rote) Lücke zwischen ihnen klafft. Auch ist es spannend zu erkennen, wie untersuchte Länder mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen auch Unterschiede in der Gleichstellung von Mann und Frau aufweisen. Gerade in religiös geprägteren Ländern, wie Italien oder die Türkei, werden immer noch viel konventionellere Geschlechterstrukturen vertreten, was sich auch in der Arbeitsaufteilung widerspiegelt. Ich denke also, dass wir durch solche Analysen und der genauerer Betrachtung repräsentativer Daten einen besseren Bezug zur Thematik bekommen können, um auch in Diskussionen handfest darauf hinweisen zu können, dass eine Gleichstellung faktisch sowie auf bildlicher Ebene noch nicht Tatsache ist.
30. November 2021
Ausgabe 1, S 12