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©2021 collectifgamine


Frau genug?


An mein genaues Alter kann ich mich nicht mehr erinnern, ich muss ungefähr sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein. Meine Mutter und ich waren gerade zusammen unterwegs, als ein junges Paar mit einem Kind unseren Weg kreuzte. Ich kann mir bis heute nicht erklären, warum es mir genau in diesem Moment bewusst wurde. Das Bild der Familie hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, zusammen mit dem Satz, mit dem ich mich damals an meine Mutter wandte: „Mami, ich finde Kinder kriegen seltsam, ich kann mir nicht vorstellen, einmal selber Mami zu sein!“ Ich denke, dass solche Gedanken für Kinder in diesem Alter normal sind. Warum sollte man in diesem zarten Alter schon verstehen, was es bedeutet, ein Kind in die Welt zu setzen? Kürzlich feierte ich meinen 22. Geburtstag und meine Freundinnen und Freunde beginnen sich dem Thema Familiengründung ernsthafter zu widmen. Dabei wird man oft gefragt, ob man sich denn vorstellen könnte, in ein paar Jahren eine Familie zu gründen. Einige Freundinnen wissen dabei schon länger, dass sie irgendwann mal Mutter sein möchten. Mein Gefühl gegenüber dem Kinderkriegen hat sich jedoch nicht verändert, ich möchte noch immer kein Mami sein. So wie gewisse Menschen wissen, dass sie nie ein Tattoo machen möchten, oder per Anhalter durch Südamerika reisen werden – genau so wenig habe ich das Verlangen nach Kindern.

Damit sollte dieser Text eigentlich sein Ende finden. Doch leider ist es nicht so einfach: Egal wie lange ich mich mit meinem Körper und meinen Wünschen auseinandersetze, ich scheine immer wieder Menschen zu begegnen, die mich besser zu kennen scheinen als ich mich selbst. Dabei fallen Aussagen wie: „Werd erst 30, dann wirst du deine Meinung schon ändern“, „In deinem Alter wollte ich auch noch keine Kinder, aber plötzlich war ich im Babyfieber“, oder, mein Lieblingssatz: „Sobald deine Freundinnen Kinder kriegen, wirst du deine eigenen wollen“.

NEIN!


Niemand weiss, wie sich der Gedanke eines eigenen Kindes für mich anfühlt. Niemand weiss, wie lange ich schon über dieses Thema nachdenke. Niemand weiss, wie glücklich ich mich ohne Kinder fühlen kann.

Woher nimmt mein Gegenüber sich immer wieder die Frechheit, für mich zu sprechen und meine Erfahrungen und Gefühle mit den seinen gleichzustellen? Egal, wie oft ich mit Mitmenschen über die Kinderfage spreche, ich werde immer über meine eigene Zukunft belehrt. Doch nicht nur der Fakt, dass scheinbar niemand glaubt, ich wäre fähig, eigene Entscheidungen über meinen Körper zu treffen, verdutzt mich, sondern auch das Gehör und Verständnis dass beispielsweise meinem (männlichen) Partner entgegengebracht wird, wenn er die gleichen Wünsche äussert wie ich. Selten habe ich miterlebt wie er (oder andere Männer in dieser Situation) von seinem Umfeld belächelt wurde, nachdem er über seinen nicht existenten Kinderwunsch gesprochen hat. Im Vergleich zu meiner sieht man in seiner kinderlosen Zukunft keine Unvollkommenheit. Wenn er Nachwuchs möchte, ist das in Ordnung, wenn nicht, wird das akzeptiert. Keine Widerreden. Keine belehrenden Untertöne in den Stimmen. Stattdessen wird er gefragt, was er anstelle von Nachwuchs für die nächsten Jahre geplant hat. Während er nun von seinen Zielen nach dem Studium erzählen darf, bin ich noch immer damit beschäftigt, mir bei meine*n Gesprächspartner*innen Gehör dafür zu verschaffen, dass Kinder für mich keine Option sind. Mein Anliegen mag als eine Nebensache erscheinen. Warum lässt man sich denn so emotional von solch unbedachten Sätzen beeinflussen? Floskeln, mehr nicht. Doch für mich ist es mehr. Viel mehr. Immer wieder vermittelt zu bekommen, dass ich als Frau erst ein gewisses Alter erreicht haben muss, um mir über die wichtigen Dinge im Leben ein klares Bild machen zu können, ist entmutigend. Ich möchte, dass wir als Gesellschaft aufhören, für andere zu sprechen und Platz für die Erfahrungen und Gedanken der Betroffenen machen.

Warum werde ich als Frau ab einem gewissen Alter automatisch zur Herde von potentiellen Müttern gezählt? Wie kommt es, dass ich mich als Frau dafür rechtfertigen muss, keine Kinder zu wollen und Männer nicht? Woher kommt der Grundgedanke, dass ich erst mit der Geburt eines eigenen Kindes vollkommen bin und deshalb früher oder später sowieso schwanger werde?

Mir ist bewusst, dass ich noch sehr jung bin und noch viele Erfahrungen sammeln darf. Mein Körper wird rennen, schwitzen, tanzen, frieren, schlafen und altern. Aber etwas weiss ich ganz bestimmt: Mein Körper wird nie Kinder gebären. Und das fühlt sich für mich richtig an, hat es schon immer und ich sehe keinen Grund dafür, warum sich das in Zukunft ändern sollte. Denn auch ohne Kinder fühle ich mich komplett und bereit dazu, mein eigenes Glück im Leben zu finden und andere Ziel zuerreichen. Ich hoffe, dass sich unsere Gesellschaft für diese Gedanken öffnet und aufhört zu widersprechen, wenn sich Frauen über ihre Bedürfnisse äussern. Es ist vielmehr an der Zeit, dass wir damitbeginnen, zuzuhören und versuchen, zu verstehen.

29. November 2021 
Ausgabe 1, S 85